Ein paar finnische Touristen haben in Deutschland eine KZ-Erinnerungsstätte besucht, um dort mit Hitlergrüssen zu provozieren. Als sie dann von deutschen Behörden festgenommen wurden und zu hören bekamen, dass ihnen schlimmstenfalls eine Gefängnisstrafe von drei Jahren drohte, gaben sie sich überrascht: sie wüssten nicht, dass so etwas strafbar sei. Ich glaube, ich kann mir erlauben, etwas darüber zu schreiben.
In Finnland wird zwar heute viel weniger Deutsch gesprochen und verstanden als zum Beispiel in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und die landeskundlichen Deutschlandkenntnisse des Volkes sind entsprechend zurückgegangen, aber ich vermute immerhin, dass unseren tapferen Jungs im KZ vollkommen bewusst war, wie verboten das "Hakenkreuzmalen" in Deutschland ist. Sie haben sich eben als verfolgte Märtyrer fühlen wollen und sind jetzt von der Wirklichkeit tief erschüttert, da sie erleben, dass es sich eben für Märtyrer gehört, sich auch ein bisschen martern zu lassen.
Das Verhältnis der Finnen zum Nazismus war schon immer ein Sonderverhältnis. Da Finnland während des Krieges trotz der Allianz mit NS-Deutschland (der Allianz, die natürlich nicht Allianz genannt werden darf, sondern als "Waffenbrüderschaft" bezeichnet wird) eine funktionierende Demokratie geblieben ist, sitzt die Vorstellung tief in der finnischen Seele, dass Faschismus und Demokratie eigentlich miteinander vereinbar sind.
Wir sind diese Allianz nur eingegangen, weil wir uns gegen den sowjetischen Imperialismus verteidigen mussten und dazu einen starken Verbündeten brauchten. Obwohl wir eher eng mit den Nazis zusammengearbeitet haben, haben wir einen Separatkrieg geführt - heisst es im allgemeinen. Der Terminus Separatkrieg wird natürlich auch in Finnland gern verspottet: dass die finnische Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg ein Hakenkreuz als Kennzeichen führte hat Anlass zu Witzen von einem "Separathakenkreuz" gegeben.
Das Hakenkreuz der finnischen Luftwaffe ist darauf zurückzuführen, dass das erste Militärflugzeug Finnlands von Eric Graf von Rosen, einem schwedischen Adligen, gespendet wurde, und das blaue Hakenkreuz war sein Zeichen. Dies geschah lange vor dem Aufgang des Nationalsozialismus in Deutschland, und deshalb ist ein nazistischer Ursprung des finnischen Hakenkreuzes nicht nachweisbar; es verdient aber eine gewisse Aufmerksamkeit, dass Carin, die erste Frau Hermann Görings, eine Schwester der Frau des Grafen war; dass der Graf selbst als Flieger mit Göring befreundet war (im frühen zwanzigsten Jahrhundert waren die Flieger eine enge internationale Zunft, wo alle miteinander bekannt waren); und dass der Graf selbst in Schweden als Nazisympathisant und Nationalsozialist politisch engagiert war. Es ist übrigens zu bemerken, dass das Hakenkreuz schon lange nicht mehr als Flugzeugkennzeichen der finnischen Luftwaffe zu sehen ist: nach dem Krieg wurde es mit der weiss-blau-weissen Kokarde (einem blauen Kreis mit weissem Hintergrund), die schon früher von den finnischen Landstreitkräften verwendet wurde, ersetzt, und im Jahre 2020 verliess es auch die Geschwaderflaggen, auf denen es bisher zu erkennen war.
Die Abschaffung der letzten Hakenkreuze aber führte zu gewisser Polemik, denn die sogenannten finnischen Nationalisten wollten es als etwas von ignoranten Ausländern Aufgezwungenes sehen. Einerseits verkündeten sie, dass das finnische Hakenkreuz kein nazistisches war, sondern eben ein Separathakenkreuz - was ja, wie ich oben erklärt habe, einigermassen auch stimmt. Andererseits aber war es klar, dass sie den Nazismus verharmlosen wollten.
Die gleichen Leute wollten ja auch den "guten Ruf" der Wiking-SS-Division verteidigen, als vor ein paar Jahren einige finnische Historiker eine neue Studie über die hiesigen SS-Männer veröffentlichten. (Als hätte die Division noch einen guten Ruf, den man verteidigen könnte...) Die Studie kam nämlich zu dem Schluss, dass manche der finnischen Freiwilligen aus rein militärischen Gründen gegen die antisemitischen Gräueltaten der SS waren: sie hatten sich zur SS gemeldet, um besser Krieg führen zu lernen, und sie erwarteten folglich, dass die SS die Hohe Schule des Krieges wäre, aber stattdessen stellte sich heraus, dass die Nazis vorwiegend jüdische Zivilisten umzingelten und mordeten. Unbewaffnete Leute morden ist nicht Krieg führen - dies verstanden auch die jungen SS-Freiwilligen aus Finnland, und obwohl sie nicht besonders humanitär oder judenfreundlich gesinnt waren, verstanden sie schon etwas von den praktischen Notwendigkeiten der Kriegsführung.
Die Vorstellung vom Separatkrieg ist keineswegs so abstrus, wie sie vielleicht einem politisch gut erzogenen Deutschen von heute vorkommt. Dass die Nazis keine braven Pfadfinder waren, war den Zeitgenossen in Finnland durchaus klar. Finnische Soldaten jüdischen Glaubens am Fluss Swir, wo sie ständigen Kontakt mit deutschen Militärs hatten, haben dort eine eigene Feldsynagoge mit Erlaubnis ihrer Vorgesetzten gehabt, was ideologisch nationalsozialistischen Deutschen natürlich mächtig auf den Wecker gegangen ist. Dennoch haben die finnischen Offiziere darauf bestanden, dass die Synagoge da bleibt, und damit basta. Sie waren mit dem nazistischen Antisemitismus überhaupt nicht einverstanden, und wollten es auch zeigen.
Finnland war auch nicht mit Nazideutschland von Anfang bis Ende des Krieges verbündet. Der sowjetisch-finnische Winterkrieg von 39/40 fand statt, als Deutschland und die Sowjetunion ihren Nichtangriffspakt hatten und somit gemeinsame Sache gegen osteuropäische Kleinstaaten einschliesslich Finnlands machten. Und als die Kriegserfolge der Nazis im Begriff waren auszulaufen, haben wir mit Deutschland gebrochen. Dann galt es, die deutschen Waffenbrüder aus Lappland zu verjagen (der Norden Finnlands, das finnische Lappland, war der Wehrmacht überlassen). Zunächst hiess es, die Wehrmacht wäre willens, sich friedlich nach Norwegen zurückzuziehen, aber als Bedingung für Friedensverhandlungen mit Finnland wollte die Sowjetunion eher Action sehen, und folglich kam es zum Gefecht zwischen finnischen und deutschen Truppen. Die Deutschen haben dabei die zivile Infrastruktur Lapplands ganz zerstört - es wurde die Taktik der verbrannten Erde konsequent in die Tat umgesetzt - was unter Finnen zu echten deutschfeindlichen Gefühlen geführt hat. In der Tat war lapinpolttaja, "Lapplandbrenner", noch in meinen Kinderjahren ein geläufiges Schimpwort für einen Deutschen.
Die Rolle Nazideutschlands im Zweiten Weltkrieg wie er in Finnland erlebt wurde ist somit im Prinzip zweideutig: zunächst mit der Stalin-Sowjetunion verbündet, dann mit Finnland alliiert, und schliesslich der verhasste Okkupant Lapplands, den unsere Soldaten vertreiben mussten. Die populäre Geschichtsauffassung der Finnen ist aber gar nicht so kompliziert wie der eigentliche Kriegsverlauf zu verstehen geben dürfte, denn seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich ein Geschichtsbild in Finnland eingebürgert, das als eindeutig nazifreundlich einzustufen ist.
In der Tat scheint es, dass die "mainstream-bourgeoise" Position in der finnischen Politik und Kultur im Begriff ist zu schwinden. Oder sagen wir nur, dass die Mainstreambourgeoisen den Neonazis, der Alternativen Rechten immer ähnlicher geworden sind. So werden zum Beispiel grüne oder linke PolitikerInnen (meistens Politikerinnen natürlich) ausländischen Hintergrunds nicht mehr nur von Wahren Finnen online gehänselt - sondern auch von Kleinpolitikern der Kokoomus-Partei (der grössten und traditionsreichsten Rechtspartei Finnlands). Die grünen und linken Politikerinnen, die so von den Online-Brigaden der Rechten angemacht und der Islamisierung Finnlands bezichtigt werden, sind nicht einmal irgendwelche trotzige Hidschabträgerinnen, sondern völlig säkularisierte brave Mädchen etwa kosovarischen Ursprungs. Einige von ihnen sind sogar von Islamisten ähnlicherweise gepiesackt und gehänselt worden.
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