Auch auf deutsch: Wie mir die Wahren Finnen meine Medienkarriere versauten
Neulich hat es in Deutschland ein gewisses Aufsehen erregt, dass ein finnischer Craftbierhersteller, der neue Märkte dort drüben öffnen wollte, sich als Vorsitzender des finnischen SS-Traditionsvereins (Veljesapu-Perinneyhdistys, d.h. so etwas wie "Traditionsverein für brüderliche Hilfe" - die Buchstaben SS kommen nicht im offiziellen Namen des Vereins vor) entpuppt hat. Jetzt sieht es aus, dass der Brauhausbesitzer im Heimatland des Biers boykottiert wird, und er hat schon den Beschluss bekanntgemacht, dass er den Traditionsverein verlassen will. Ich glaube, es ist an der Zeit, ein paar Wörtchen auf Deutsch über das Verhältnis der Finnen zur SS zu schreiben. Hier in Finnland wurde die deutsche Reaktion meistens so interpretiert, dass Ausländer schon wieder die "Sonderposition" Finnlands im Zweiten Weltkrieg nicht verstehen wollen.
In Finnland hat es eigentlich niemals eine Vergangenheitsbewältigung gegeben, was unsere Zusammenarbeit mit NS-Deutschland betrifft. Oder sagen wir lieber: die Vergangenheitsbewältigung, die stattgefunden hat, ist am ehesten als entlehntes Kulturgut aus Deutschland empfunden worden, oder auch als sowjetische Propaganda. Als die Sowjetunion zusammengebrochen ist, haben die Finnen aus Erleichterung geseufzt: jetzt ist endlich Schluss mit diesen heuchlerischen Selbstanklagen.
Einerseits verstehe ich natürlich, warum wir so erleichtert waren. Im Gegensatz zu Deutschland und zur Sowjetunion verblieb Finnland eine funktionierende Demokratie während des Krieges. Eine Menge wirkliche oder mutmassliche Kommunisten wurden zwar in Schutzhaft genommen, aber die Interessen der Werktätigen wurden von einer grossen sozialdemokratischen Partei legal und parlamentarisch vertreten. Es war schon eine Leistung und - ich sage es offen: ein Anlass zu Nationalstolz, dass wir den Krieg so frei, so "demokratisch intakt" sozusagen, überlebt haben.
Es gab in Finnland durchaus Nazis, Möchtegernnazis und Bewunderer der Nazis, die das Land in eine faschistische Diktatur hätten verwandeln wollen, und es gab nazifreundliche Politiker und Beamte, die versucht haben, dem "Waffenbruder" (wir sagen nicht gern: dem Verbündeten) einen Gefallen über das Notwendige hinaus zu tun. Alle einigermassen gebildeten Finnen kennen die Geschichte von ne kahdeksan, von "jenen acht" jüdischen Flüchtlingen, die Deutschland ausgeliefert wurden; nur einer, Georg Kollmann, überlebte den Holocaust und liess sich nach dem Krieg in Israel nieder - nach Finnland wollte er nie zurückkehren. Weniger bekannt ist, dass auch ein paar Hundert sowjetische Kriegsgefangene jüdischen Hintergrunds aus finnischen Gefangenenlagern nach Deutschland verschleppt wurden, wo sie dann vergast oder erschossen wurden.
Die Judenauslieferungen haben in Finnland zeitweise Anlass zu Zeitungspolemik gegeben; meistens wird davon ausgegangen, dass die Auslieferungen vor allem der damaligen politischen Polizei Finnlands, der Valpo (Valtionpoliisi, Staatspolizei), und ihrem Chef Arno Anthoni anzukreiden sind; der Innenminister Toivo Horelli hat ausserdem eine Rolle gespielt. Was die Auslieferungen der Kriegsgefangenen betrifft, hat der finnische Historiker Oula Silvennoinen im Jahre 2008 herausgefunden, dass hier ein Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD aktiv war, das unter den sowjetischen Kriegsgefangenen nach Kommunisten und Juden gesucht hat, um dann ihre Auslieferung zu erwirken. (Die Ausgelieferten wurden in diesem Falle nicht nach Deutschland verschleppt, sondern schon auf finnischem oder norwegischem Boden ermordet: es wurden nach vorhandenen Angaben insgesamt 520 Menschen ausgeliefert, von denen schätzungsweise 70-80 Juden waren.)
Der finnische Beitrag zum Holocaust beruhte folglich darauf, dass NS-Deutschland unseren demokratischen Staat unterwanderte. Wo wir das Sagen hatten, haben wir unsere jüdische Bevölkerung als gleichwertige Mitbürger geschützt und verteidigt. Jüdische Soldaten in der finnischen Armee haben sogar eine Feldsynagoge gehabt, und zwar wo die "Waffenbrüder" sie auch sehen konnten.
Nach dem Krieg wurden Sowjetbürger finnischer Ethnizität auf eine ähnliche Weise aus Finnland in die Sowjetunion ausgeliefert, auch solche, die in Finnland als Flüchtlinge aufgenommen worden waren. Diese Auslieferungen können einigermassen mit den der Juden verglichen werden: bekanntlich wurden alle Kriegsgefangenen in der Sowjetunion zu Lagerstrafen verurteilt, und ich kann mir vorstellen, dass den "Finnischstämmigen", die versucht hatten, sich in Finnland einzubürgern, ein noch schlimmeres Schicksal widerfahren ist.
Der Verrat an den Finnischstämmigen dominierte nach dem Ende des Sowjetsystems die öffentliche Diskussion so, dass der sozialdemokratische Präsident Mauno Koivisto einseitig, mit den damals noch sehr weitreichenden aussenpolitischen Machtbefugnissen des finnischen Präsidenten, den Beschluss gefasst hat, die Nachkommen der Finnischstämmigen in der Sowjetunion zu repatriieren. Der Beschluss hat die ganze aussenpolitische Verwaltung des finnischen Staates überrumpelt, und die ganze Prozedur der Repatriierung trug den Stempel der übereilten Improvisation. Ein tragikomischer Aspekt des ex-sowjetfinnischen Exodus nach Finnland ist, dass ebenjene finnischen rechten Nationalisten, die Anfang der Neunzigerjahre Druck auf den Präsidenten ausgeübt hatten, den Ex-Sowjetfinnen die Türen aufzumachen, ihm nachher vorwarfen, er hätte Finnland zu russifizieren versucht - es stellte sich nämlich bald heraus, dass unsere verlorenen Stammesbrüder aus dem Osten sehr unterschiedliche Ebenen des "Finnentums" vertraten: einige wenige sprachen Finnisch sogar untereinander und verstanden die finnische Gesellschaft, während andere (die Mehrheit, glaube ich) im Prinzip völlig russifiziert waren und nur die Gelegenheit nutzten, aus den unruhigen und chaotischen Verhältnissen Russlands wegzukommen. Aber ich glaube, ich brauche den deutschen Lesern das alles nicht zu genau zu schildern, denn die Probleme der sowjetfinnischen Repatriierung ähneln denen der sowjetdeutschen in Deutschland sehr viel.
Das ist aber eine Abschweifung. Was ich damit sagen wollte, ist, dass sich nach dem Kollaps der Sowjetunion eine neue geschichtliche Selbstgefälligkeit in Finnland breitmachte, die auch gewisse klammheimliche und kitzelnde NS-Sympathien nicht ausschloss: "wie wir schon immer wussten, aber es nicht in einer Atmosphäre verinnerlichter Sowjetfreundlichkeit nicht offen sagen durften, war die Sowjetunion der eigentliche grosse Ganove des Krieges, und der Antinazismus war nur eine Pose, die wir wegen politischer Zweckdienlichkeit einnehmen mussten, aber jetzt ist an der Zeit, diese Pose aufzugeben und stolz auf unsere Geschichte zu sein - oder uns des Prosowjetismus mehr zu schämen als je des Pronazismus".
Es muss zugegeben werden, dass so eine Attitüde von der finnischen Perspektive her durchaus verständlich ist und plausibel klingt. Dabei muss aber daran erinnert werden, dass wir keinesfalls Anfang bis Ende des Krieges Verbündete oder Waffenbrüder des nationalsozialistischen Deutschland waren: während des Winterkrieges (1939-1940) zwischen Finnland und der Sowjetunion gab es einen Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin, der die beiden Diktatoren de facto zu Verbündeten machte; und nach dem Waffenstillstand zwischen Finnland und der Sowjetunion im Jahre 1944 waren wir verpflichtet, die früher verbündeten deutschen Truppen im sogenannten "Lapplandkrieg" aus dem Norden Finnlands zu verjagen.
Das Verhältnis zwischen Finnland und Deutschland in den Jahren des Zweiten Weltkrieges war also gar nicht eindeutig oder unverändert. Wie ich verstanden habe, waren viele Zeitgenossen der Meinung, dass Deutschland zwar Finnland als Verbündeter gegen die Sowjetunion durchaus vonnöten war, dass es aber ein unzuverlässiger Verbündeter mit seinen eigenen Interessen war. Auch wurde der Antisemitismus der Nationalsozialisten in Finnland gar nicht unkritisch hingenommen: sogar unter eher rechtsgesinnten Finnen gab es viele, die ihn nicht akzeptierten und die von dieser Missbilligung keinen Hehl machten.
Im Geschichtsbewusstsein vieler Finnen (und hier sind nicht die Rechtsradikalen gemeint, sondern Leute, die unpolitisch und unreflektiert "pro-westlich" sind) waren wir schon immer mit NS-Deutschland alliiert (aber gleichzeitig werden Vokabeln wie "Allianz" und "Verbündeter" gemieden, wobei man lieber von "Mitkämpfern" und "Waffenbrüdern" spricht, wie ich oben schon erwähnte). Vom Winterkrieg weiss man zu sagen, dass wir damals von den westlichen Mächten im Stich gelassen wurden (was natürlich mit sich bringt, dass wir moralisch berechtigt waren, mit Hitler gemeinsame Sache zu machen). Und vom Lapplandkrieg gegen Deutschland spricht man eher verlegen, wenn überhaupt: es wird als Schande empfunden, dass wir uns unter sowjetischem Druck gegen unsere früheren Verbündeten, pardon, Waffenbrüder wenden mussten.
Das alles lässt sich auch im Verhältnis der Finnen zu den finnischen SS-Männern erkennen. Es sind nicht nur die Rechtsradikalen, die geneigt sind, das finnische SS-Bataillon zu verteidigen. Nach dem Titel eines Geschichtsbuchs über das Bataillon, Panttipataljoona, wird das Bataillon gern als "Pfandbataillon" oder "Geiselbataillon" bezeichnet (das finnische Wort pantti ist natürlich eine Entlehnung aus dem Schwedischen und bedeutet "Pfand", aber ausserdem erweckt panttipataljoona Assoziationen mit dem Wort panttivanki, wortwörtlich "Pfandgefangener", das der gewöhnliche finnische Ausdruck für Geisel ist). Das heisst, das Bataillon wird vor allem als Opfer der finnischen Aussenpolitik gesehen: wegen der politischen Zweckdienlichkeit mussten "unsere Jungs" "unter fremdem Helm" (vieraan kypärän alla, auch das der Titel einer einschlägigen Buchveröffentlichung) kämpfen.
Finnische Diskussionsteilnehmer bemühen sich auch sehr, um die SS, der die finnischen Freiwilligen angehörten, als eine "gute SS", eine Frontkämpfer-SS zu beschreiben, die gar nichts mit der "bösen KZ-SS" zu tun hatte. Es ist zwar wahr, dass sich die SS zu einem Staat im Staate mit vielen verschiedenen Zweigen entwickelte, aber diese Geschichte über eine organisatorisch separate "gute SS" ist schon ein alter Hut, den vor finnischen SS-Männern und ihren Verteidigern auch Leute ähnlicher Gesinnungen z.B. in Deutschland und in den Vereinigten Staaten getragen haben. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Roman von George Robert Elford, Devil's Guard (ich weiss nicht, ob er auf deutsch erhältlich ist), der in finnischer Übersetzung populär genug war. Das Buch schildert das Schicksal von SS-Männern, die sich nach dem Krieg von der französischen Fremdenlegion anwerben lassen und in Indochina die Vietminh-Partisanen bekämpfen; da das Erzähler-Ich, ein SS-Obersturmführer namens Hans Josef Wagemüller, die Gräueltaten der Partisanen beinahe pornographisch schildert, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass dieses Buch vor allem als Gegenpropaganda gegen die Vietnam-Proteste in den USA gemeint war.
Die Vorstellung von den finnischen SS-Männern als heldenhaften Frontsoldaten, die gar nichts mit dem Holocaust zu tun hatten, wurde auch von der damals jungen Schriftstellerin Tiina Korhonen Anfang der 90er Jahre in ihrem Roman Rautasaappaiden kaiku ("Das Echo der eisernen Stiefel") kolportiert. Korhonen verschwand nach einem weiteren Roman, dem im eigentlichen Sinne pornographischen Kenttämaskotti ("Das Feldmasköttchen"), von der literarischen Szene Finnlands überhaupt. Damals hatten Leute wie ich Angst, dass der erste Roman Korhonens Schule machen würde, aber diese Angst erwies sich unbegründet: die finnische Kriegsliteratur konzentrierte sich auch danach auf die Heldentaten der finnischen Armee und auf die Leiden der finnischen Zivilisten. Dennoch scheint das Buch immer noch unter finnischen Rechtsradikalen, auch von denen der "Alt-Right"-Generation, bekannt und gelesen zu sein. Die Vorstellung von der "guten SS" war auch in der Diskussion zu spüren, die neulich eine Forschungsarbeit des finnischen Kirchenhistorikers André Swanström, Hakaristin ritarit ("Die Hakenkreuzritter"), erweckt hat.
Swanström hat vor allem behauptet, den finnischen SS-Männern sei bewusst gewesen, dass eine Massenvernichtung der Juden im Gang war, und sie hätten auch mitgemacht. Einige wenige von ihnen scheinen auch an den Gräueltaten Gefallen zu haben, aber andere haben sich in ihren Briefen und Tagebüchern missbilligend darüber geäussert: sie waren schliesslich in der SS, um besser Krieg führen zu lernen und die dadurch erworbene Kenntnisse später im Heimatland anderen finnischen Soldaten beizubringen, aber das Erschiessen von unbewaffneten Juden setzte weder Tapferkeit noch Kriegskünste voraus.
Im Grossenganzen haben Swanströms Forschungsergebnisse mich kaum überrascht. Dass unter den SS-Freiwilligen eine verhältnismässig hohe Anzahl waschechter Antisemiten zu finden war, überrascht keinen; andererseits war es schon mehr oder weniger bekannt, dass die Judenmassaker unter finnischen Freiwilligen auf Kritik und Nichtakzeptanz stiessen.
Am interessantesten ist hier die Reaktion sogenannter Freunde der Landesverteidigung. Das eher banale Faktum, dass finnische SS-Männer den Holocaust ein bisschen mitgemacht haben können, hätte aus der "landesverteidigungsfreundlichen" Perspektive auch mit Gelassenheit hingenommen werden können. Finnische SS-Männer mögen Gräueltaten begangen haben, aber als SS-Männer waren sie keine Soldaten der finnischen Armee, und dass sie in einer fremden Armee kämpften, war das Ergebnis eines politischen Beschlusses der finnischen Regierung. Folglich trug die finnische Armee keine Verantwortung für das, was sich die Männer des "Geiselbataillons" erlaubt haben mögen.
Unverständlicherweise waren es mehrere Feuilletonisten in Militärzeitschriften, die Swanströms Forschung als "linken Angriff auf unsere Armee" empfanden. Dies kann nur so verstanden werden, dass für gewisse Militärkreise in Finnland die SS-Männer immer noch "solidaritätswürdig" und "unsere Jungs" sind.
Ähnlich absonderliche Reaktionen waren zu hören, als Silvennoinen seine Forschung zu den Aktivitäten der deutschen Einsatzgruppe in Finnland veröffentlichte. Dass so eine Gruppe in Finnland anwesend und wirksam war, sollte ja eher die Finnen von der Schuld am Holocaust freisprechen: wir konnten schliesslich wenig dagegen unternehmen, wenn die Grossmacht des Antisemitismus ihre Agenten hier eingeschleust hatte.
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